Ein Streichen, ein kräftiger Ruck, dann wieder massierende Griffe:
Ein Osteopath kann Beschwerden im ganzen Körper manuell diagnostizieren und behandeln. Ob bei Kopfweh, Zyklusstörungen, Hexenschuss - das ganzheitliche Konzept ist echte Alternativmedizin.
Text: Anne-Bärbel Köhle
Kristina Adorjan hat die Augen geschlossen,
denn sie schaut mit den Händen. Mit sanften Handbewegungen fährt sie an meinem Unterschenkel über das Schienbein entlang zum Knöchel, drückt, dreht das Gelenk, presst erneut. Dann hält die Münchner Therapeutin für Osteopathie (übersetzt: Krankheit, die von Knochen kommt) kurz inne, die Augen immer noch geschlossen. Sie wiegt den Kopf nachdenklich hin und her. Was kann sie sehen?
Schmerzen in der Hüfte, vor allem, wenn ich längere Bergtouren gehe. Auszuhalten, keine Frage. Aber eben beunruhigend und lästig. Damit war ich zu der Münchner Osteopathin gekommen. Der Arzt hatte auf dem Röntgenbild keine Veränderung am Gelenk gefunden. Aber irgendwoher musste das Zwicken ja kommen. Kristina Adorjan sucht danach. Und so wie es aussieht, sind ihre kundigen Hände fündig geworden, aber überraschenderweise nicht an der Hüfte, sondern am Sprunggelenk.
Mögliches Problem:
ein alter Bänderriss. "Dadurch haben Sie sich eine Fehlstellung am Fuß angewöhnt. Der Energiefluss stimmt an dieser Stelle nicht, und der Fuß ist auch weniger beweglich", erklärt sie. Dann wandern ihre Hände zum Kopf, betasten die Sitrn, legen sich schließlich wie eine wärmende Mütze auf meine Haare. Wieder hat sie die Augen geschlossen, ganz so, als müsste sie in sich hineinhören - und in mich hineinsehen. Diesmal prüft sie, ob die Flüssigkeit, die Gehirn und Rückenmark umspült, rhythmisch pulsiert. Davon hängt es ab, ob meine Organe, mein Bindegewebe und alle Muskeln im Lot sind. Ein wenig klingt es für mich wie Hokuspokus. Doch dahinter steckt eine ausgeklügelte Theorie.
Die Osteopathie geht davon aus, dass jeder Körper mit natürlichen Korrekturkräften ausgestattet ist, die versuchen, einen Organismus möglichst gesund zu halten. Dieser Selbstheilungsmechanismus funktioniert ungehindert, solange der Körper, sein Gewebe, die Gelenke, Muskeln, Nerven und Knochen gut ausbalanciert sind. Manchmal aber entsteht ein Ungleichgewicht, Druck auf die Nerven vielleicht, eine Fehlstellung von Knochen - oder die Organe können sich nicht mehr frei bewegen. Und dann kann der Körper sich nicht mehr ohne Weiteres selbst helfen. Auch emotionale Probleme, Stress, soziale Spannungen und Konflikte können den Organismus auf Dauer so schwächen, dass er Störungen nicht mehr allein beheben kann. Das Ergebnis: Er wird krank, blockiert an manchen Stellen, reagiert beispielsweise mit Kopf- oder Rückenschmerzen - und manchmal zwickt´s eben auch in der Hüfte.
löst sie mit sanften Griffen und leichtem Druck oder auch mit Massage und einem kurzen Ruck. Damit bringt er das Gewebe, das Gelenke und Organe umgibt, ins Gleichgewicht und lässt die Körperenergie wieder fließen. Eine mehr als hundert Jahre alte Heilmethode, die gänzlich ohne Apparate und Medikamente auskommt. Und die inzwischen weltweit auch von vielen Schulmedizinern anerkannt wird. 19 osteopathische Fachhochschulen gibt es in den USA. Ihr Studiengang schließt mit dem Grad "Doktor der Osteopathie" ab und ist unter Medizinprofis genauso angesehen wie der Facharzt. Auch in Deutschland bilden einige Schulen die Heiler mit den Zauberhänden aus. Allerdings ist im Gegensatz zu Großbritannien und den USA der Lehrstoff hierzulande noch nicht gesetzlich geregelt, das heißt: Die Qualität der Leistung kann ziemlich schwanken. Garantie bieten seriöse Adressen.
Inzwischen hat Kristina Adorjan meine Kopfhaut kräftig bearbeitet, immer wieder die eine Hand an meine linke, die andere an meine rechte Schädelhälfte gelegt. Sie ist zufrieden: "Ziemlich ausgeglichen", sagt sie. Plötzlich stutzt sie doch, prüft erneut mit leichtem Druck, wandert mit den Händen Richtung Becken: "Hab ich´s mir doch gedacht", murmelt sie. "Eine alte Entzündung am rechten Eierstock." Die ist so lange her, dass ich scharf nachdenken muss, bis mir die Schmerzen wieder einfallen, damals im Studium. Eigentlich hatte ich gedacht, dass nach zwei Wochen Antibiotikum alles in Ordnung wäre...