Immer mehr Krankengymnasten, Physiotherapeuten, Heilpraktiker oder Ärzte bieten sie an: die Osteopathie. Der Amerikaner Andrew Taylor Still hat Ende des 19. Jahrhunderts nach jahrzehntelangen Anatomiestudien des menschlichen Körpers diese manuelle Therapieform entwickelt. Um Osteopathie zu verstehen, kann man den menschlichen Körper mit einem Uhrwerk und seinen Rädern und Rädchen vergleichen, die alle miteinander gut geschmiert verzahnt sind. Verformt sich eines, hat das weitreichende Auswirkungen auf den Rest der Maschine.
Nach Ansicht des Osteopathen stehen die verschiedenen Bestandteile des Körpers, also Knochen, Muskeln und Bindegewebe, in Wechselwirkung zueinander. Solange diese Beziehung kein Sturz oder Unfall stört, ist das Leben im Fluss, wie der Osteopath sagt. Trifft z.B. durch einen Unfall ein „falscher Zug“ auf das Gewebe, verspannt sich die Muskulatur. Da diese versucht, dagegen zu halten, funktioniert das Gewebe nicht mehr normal. Über Bänder oder Nervenstränge können die Verspannungen weit in andere Körperregionen hin ausstrahlen. Da kann es passieren, dass der Osteopath als Ursache für Rückenschmerzen z.B. den Bruch des Mittelhandknochens oder den vermeintlich harmlosen Sturz aufs Steißbein vor zwanzig Jahren ausmacht.
Das Ziel der Osteopathen ist es, das Individuum als Ganzes wieder optimal funktionieren zu lassen. Um die Funktionsstörungen zu beseitigen, brauchen sie keine große Apparatemedizin: Ihre geübten Hände und verschiedene Grifftechniken genügen. Durch Abtasten des Körpers, seiner Muskeln und Bänder sollen Einschränkungen erfühlt werden. Dazu müssen Osteopathen in ihrer fünfjährigen Ausbildung unter anderem genaue Kenntnisse über die Anatomie, Physiologie und Neurologie des menschlichen Körpers erlangen. Durch schmerzfreies, sanftes Ziehen oder Drücken der betroffenen Körperteile, das können je nach Befund z.B. Schädelknochen oder Darm sein, will der Osteopath erreichen, dass sich Stauungen bei Blutgefäßen, Lymph- und Nervenbahnen wieder lösen. So sollen die Selbstheilungskräfte des Körpers unterstützt werden. Um eine treffende Diagnose stellen zu können, braucht der Osteopath vor der Behandlung umfangreiche Informationen über den Gesundheitszustand, die bei Erwachsenen zuweilen bis in die Kindheit zurückreichen können. Außerdem muss der ganze Körper abgetastet werden, um Beweglichkeitseinschränkungen auszumachen.
Bei Kindern und Säuglingen ist die bisherige Krankengeschichte in der Regel noch kurz. Aber: Der anstrengende Weg des kindlichen Kopfes durch den weiblichen Geburtskanal kann die Lage der Schädelknochen zueinander so verschieben, dass sie Druck auf Nervenbahnen oder Blutgefäße ausüben. Bei Schrei- und Spuck-Kindern sind nach Ansicht der Osteopathen vor allem der Zungen-Schlund-Nerv und der Eingeweidenerv in Mitleidenschaft gezogen. Wird Letzteres in seiner Aktivität gehemmt, kann die Verdauung gestört sein, was z.B. zu Spucken, Blähungen oder Koliken führt. Der Osteopath versucht nun durch sanfte Griffe, die Schädelknochen wieder in ihre anatomische richtige Lage zu schieben bzw. zu drücken, um Nervenbahnen und Blutgefäße zu entlasten. Eine Kleinkindbehandlung kostet zwischen 60 und 80 Mark. Die gesetzlichen Krankenkassen geben keinen Zuschuss. Akute Erkrankungen sowie Verletzungen kann ein Osteopath nicht heilen, diese organischen Fälle gehören in die Hände der Schulmediziner.