Für Sie 05/2006 aus der Serie: Sanfte Medizin, Teil 3
Bei vielen leichten Beschwerden kann man sich gut selbst helfen. Wie, das zeigen wir Ihnen in unserer Gesundheits-Serie. Diesmal geht´s um die Wirbelsäule und die leidigen Rückenschmerzen.
Ein Brennen unterm Schulterblatt, ein unangenehmes Ziehen – laut aktuellen Umfragen leiden zwei Drittel aller Deutschen unter Rückenschmerzen, Couch-Potatoes ebenso wie Sportler. Was die wenigsten wissen: Nur ein kleiner Prozentsatz der Rückenschmerzen lässt sich tatsächlich auf einen Schaden der Wirbelkörper, Bandscheiben oder der Muskulatur zurückführen. Meist sind Verspannungen die Ursache - durch Bewegungsmangel, Stress und Fehlbelastungen, etwa weil wir hochhackige Pumps so lieben. Und oft haben wir uns im Laufe der Zeit falsche Bewegungsmuster angewöhnt: ziehen beispielsweise beim Telefonieren automatisch eine Schulter hoch oder laufen sorgengebeugt durchs Leben. „Der größte Anteil der Beschwerden beruht auf seelisch-emotionalen Prozessen“, erklärt Rücken-Experte Dr. Siegbert Tempelhof, Orthopäde in München und Buchautor („Rückenschmerzen ganzheitlich behandeln“, GU Ratgeber, 126 Seiten, 12,90 Euro). Der Rücken ist wie eine sensible Antenne - ob wir Angst spüren, Freude, Trauer oder unter Magenkrämpfen leiden: über unzählige Verschaltungen laufen die Meldungen aus Gewebe, Muskeln und Organen zum Rückenmark und wieder zurück. Dr. Tempelhof: „Bei allem, was man empfindet, ist der Rücken immer irgendwie dabei.“
Glücklicherweise ist unsere Wirbelsäule nicht so fragil wie lange angenommen, sondern von der Natur genial konstruiert worden. Jeder einzelne der 34 Wirbel bildet ein komplexes System mit gerade so viel Spielraum, wie es seine Aufgabe zum Rotieren, Kippen oder Neigen erfordert. Im Hals flexibler, im Lendenbereich flächiger und fester. Eine Vielzahl kleiner Bewegungsmöglichkeiten addiert sich zu erstaunlich großer Flexibilität. Muskelketten und Bänder halten uns wie ein hochtechnisches Seilsystem aufrecht. Wenn es an einer Seite überspannt, gibt ein anderer Muskel nach oder hält dagegen. Neue Forschungen zeigen, dass die einzelnen Wirbelkörper vor allem über kleine, tief gelegene Muskeln - die lokalen Stabilisatoren - ausbalanciert werden. Sie sind ein anatomisches Meisterwerk: Bereits 80 Millisekunden vor der eigentlichen Bewegung spannen sich die Mini-Muskeln an und stabilisieren uns schon mal vorab. „Diese fein koordinierte Muskelfunktion ist bei Rückenschmerzpatienten deutlich gestört“, erläutert Dr. Tempelhof. „In diesen Fällen reagieren die kleinen Muskeln erst verspätet auf die größeren Bewegungsabläufe.“ Wissenschaftler vermuten, dass die Stabilisatoren durch ständiges sitzen zu wenig stimuliert und im Lauf der Zeit abgebaut werden. Wer sich regelmäßig bewegt, kann aber rechtzeitig gegensteuern.